Personenstandswesen

Typ: Rundschreiben , Schwerpunktthema: Verfassung , Datum: 29.04.2019

Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben

RdSchr. d. BMI v. 10.4.2019 - V II 1 - 20103/27#17 -

per E-Mail an Innenministerien/Senatsverwaltungen für Inneres der Länder

Am 22. Dezember 2018 ist das "Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben" in Kraft getreten. Mit diesem Gesetz wird die Möglichkeit eröffnet, bei der Geburt von Kindern, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können (intersexuelle Menschen), auch die Geschlechtsangabe "divers" zu wählen (§ 22 Abs. 3 PStG). Personen mit einer solchen Variante der Geschlechtsentwicklung können ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen darüber hinaus später auch selbst durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt ändern lassen (§ 45b PStG).

Da vermehrt Fragen in Bezug auf die Anwendung dieser neuen Regelung aufgetreten sind, weise ich auf Folgendes hin:

I. Die neue Regelung in § 22 Abs. 3 PStG und in § 45b PStG erfasst nur intersexuelle Menschen, also Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können. Der Begriff "Variante der Geschlechtsentwicklung" ist die deutsche Fassung der bei der Konsensuskonferenz in Chicago 2005 international festgelegten Definition für "Differences of Sex Development", kurz DSD. Danach liegt eine Variante der Geschlechtsentwicklung nur bei solchen Diagnosen vor, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind. Eine Variante der Geschlechtsentwicklung im Sinne der Norm liegt dagegen z. B. nicht vor, wenn die Veränderung des Geschlechts aufgrund der Einnahme von Hormonen selbst herbeigeführt worden ist.

II. Transsexuelle Menschen werden vom Geltungsbereich der neuen Regelung nicht erfasst. Für sie gilt weiterhin das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz. Transsexuelle Menschen haben ein eindeutiges biologisches Geschlecht, das aber nicht mit dem empfundenen Geschlecht übereinstimmt 

III. Inzwischen gibt es vermehrt Hinweise auf Fälle, in denen transsexuelle die allein für intersexuelle Menschen geschaffene Regelung für sich in Anspruch nehmen. So sollen ärztliche Bescheinigungen vorgelegt worden sein, obwohl eine Variante der Geschlechtsentwicklung tatsächlich nicht vorliegt. Zwar muss die geforderte ärztliche Bescheinigung keine genaue Diagnose enthalten und der Standesbeamte wird regelmäßig auch auf die Richtigkeit einer ärztlichen Bescheinigung vertrauen können. Dennoch ist er verpflichtet, die Bescheinigung als Nachweis unter folgenden Aspekten zu prüfen:

  • Die Bescheinigung darf nur ausstellen, wer über eine ärztliche Approbation (= staatliche Zulassung) verfügt. Das sind in erster Linie die einschlägigen Fachärzte. Psychologen ohne zusätzliche ärztliche Approbation können die ärztliche Bescheinigung dagegen nicht ausstellen.
  • Bestehen berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung, z.B. weil die betroffene Person parallel ein Verfahren nach dem Transsexuellengesetz betreibt, ist der Sachverhalt weiter aufzuklären. Dazu kann z. B. eine Konkretisierung der ärztlichen Bescheinigung dahingehend verlangt werden, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung nach der in der Konsensuskonferenz in Chicago 2005 international festgelegten Definition bestätigt wird. Können die Zweifel nicht ausgeräumt werden, ist die Ablehnung der Beurkundung in Betracht zu ziehen.
  • Ergibt sich zusätzlich der Verdacht der Ausstellung einer unrichtigen ärztlichen Bescheinigung nach § 278 StGB, ist Nummer 70 PStG-VwV zu beachten.

IV. Die neue Regelung sieht nur zwei Ausnahmefälle vor, in denen ersatzweise die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zugelassen ist, weil die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nicht oder nur unter nicht zumutbaren Bedingungen zu erlangen wäre. Dafür müssen kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen:

  1. Es liegt eine Variante der Geschlechtsentwicklung nach o. g. Definition vor.
  2. Es hat deshalb eine medizinische Behandlung gegeben.
  3. Die betreffende Person verfügt jedoch nicht über eine ärztliche Bescheinigung dieser Behandlung.
  4. Ein aktueller Nachweis ist entweder
    - wegen der erfolgten Behandlung nicht mehr möglich oder
    - eine dafür erforderliche Untersuchung wäre unzumutbar (Retraumatisierung). 

Der Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung sollte alle oben aufgeführten einschlägigen Voraussetzungen umfassen. Wenn der Verdacht einer falschen Versicherung an Eides statt (§ 156
StGB) besteht, ist ebenfalls eine Mitteilung nach Nummer 70 PStG-VwV zu prüfen.

V. Wird die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung oder unter den o. g. Voraussetzungen die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verweigert, darf die Erklärung nach § 45b PStG nicht beurkundet werden.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Anwendungshinweise den Standesämtern Ihres Zuständigkeitsbereiches zur Kenntnis geben würden.

Im Auftrag

Referat V II 1